Silvia Siemes / DE

Mir fällt dazu das aristotelische Zeitverständnis ein: „Ektinos eisti“ als das im Raum sich Bewegende „Von etwas her, zu etwas hin“. Ihre Skulpturen aus der Werkreihe „Bleiben/Warten“ halten genau das Dazwischen, eine Art kontemplative Aufmerksamkeit gegenüber dem richtigen Moment: Sich aufzumachen — der aufmerksame Moment vor einer Entscheidung.

Diesen Moment definiert die Künstlerin als ein Stillesein, ein in sich versammeltes Dasein, das immer so bleiben könnte, eine Art Zeitlosigkeit. Aber es könnte auch zu etwas hinführen — nämlich in die Bewegung, in die Zeit und damit auch in die Vergänglichkeit.

Spannend ihre Technik, wie da aus „Lehm" ein Lebendiges entsteht durch Schichten und Auflegen. Jede ihrer Figuren ist eine kleine Schöpfungsgeschichte. Aus dem sichtbaren Entstehungsprozess beziehen sie ihre Fragilität: Sie sind schön, aber auch zerbrechlich, umgeben von einer Aura der Melancholie, denn sie wissen um ihr kurz bemessenes Dasein, um diesen Moment des Innehaltens und Bewusstwerdens in einem unabänderlichen Prozess von Werden und Vergehen, von Metamorphose und Wandlung.

Marion Reichert 2019